Als Bergsteiger einmal auf der anderen Seite stehen
(vbe) Finja Bollmann (14) aus Weyhe steuert geradewegs durch die Hallentür und schwingt sich umgehend auf die Judomatte. Im Gepäck hat sie neben ihrem Judoanzug auch etwas zum Trinken und Essbares. Ein paar Meter weiter schlurft der zwei Jahre jüngere Blumenthaler Silas Florian am Mattenaus vorbei in Richtung einer Sitzbank und hält zunächst Blickkontakt zu den übrigen 22 Judokas, die sich aus Bremen und dem nahem Umland kommend mit dem Thema „Co-Trainer“ beschäftigen wollen.
Damit verbunden ist der durch den Bremer Judo-Verband (BJV) alljährlich an drei Wochenenden stattfindende Lehrgang für junge Judokas, die einmal ihre Nase in die Dinge stecken wollen, die sie immer nur von oben herab gesagt bekommen haben. Aber auch in den vor ihnen liegenden Stunden wird vieles wieder von der Bergspitze auf die zukünftigen Bergsteiger herunter prasseln. Daran beteiligt ist namentlich Claus Dierks. Der 57-jährige Lehr- und Prüfungsreferent des BJV leitet seit siebzehn Jahren aktiv das Ausbildungsgeschehen innerhalb des Verbandes und hat dabei über 150 Jung-Judoka auf den Pfad des Trainerdaseins gebracht. Und zwanzig Prozent davon haben im weiteren Verlauf den Sprung zu einer Trainer-Graduierung erreichen können.
In der Sporthalle an der Hammersbecker Straße in Bremen-Nord stehen zunächst interessante Spiele auf dem Programmzettel, die neben dem Spaß-Effekt auch einen judospezifischen Hintergrund haben. Akrobatik, turnerische Elemente und natürlich Funktionsgymnastik runden das Aufwärmen ab. Dabei entdecken die Teilnehmer für sie viele ungewöhnliche und damit auch neue Bewegungsformen. „Die werden“, so Claus Dierks , „gerne von den Aktiven aufgenommen“. Er ist insgesamt auch davon überzeugt, dass die jungen Sportlerinnen und Sportler das Erlernte reflektieren und damit jedem einzelnen einen Schub geben. „Ein Weckruf in Sachen Judo“, schiebt Dierks hinterher.
Ihm liegt auch viel daran, den heranwachsenden Judokas zu erklären, „dass die Aufgabe eines Trainers mehr ist, als nur mit beiden Füßen auf der Matte zu stehen“.
Nach den loslösenden Spielen werden nun im Stand- sowie Bodenbereich zielgerichtete Formen eines Techniktrainings vorgestellt und geübt. Eine besondere Hausaufgabe während des Lehrgangs ist die Gestaltung einer Übungseinheit, die zuvor schriftlich notiert werden muss, sich aber in der praktischen Durchführung so manches Mal schwerer darstellt, als vorgesehen. Da naht natürlich sofort Hilfe vom obersten Bergsteiger, der hier und da aber auch viel Lob für das Gezeigte verteilt.
Da kommt eine gemeinsame Übernachtung in der Halle am Heidbleek in Blumenthal zum richtigen Zeitpunkt. Die Planung dazu müssen allerdings die Bergsteiger leisten: Vorbereitung des Abendessens und das Abend- und Nachtprogramm.
Für einige der Mädchen und Jungen wieder einmal Neuland; zusammengepackt mit einem fragendem Gesichtsausdruck. „Das kann auch die Aufgabe eines Trainers sein“, so Dierks in die Runde der jeweiligen Gruppen, die auch für die nötigen Lebensmittel sorgen müssen. Am Ende hat alles bis zur letzten Stunde geklappt, die in der Halle Fährer Flur in Vegesack mit einem donnerndem Applaus von Seiten der Bergsteiger bis hin zur Bergspitze begleitet wird.
Und nun schreiten Finja und Silas mit weiteren 21 Gleichgesinnten voller Stolz von der Matte. Ein wenig erschöpft greift Grüngurt-Trägerin Finja nach ihrer Tasche und gibt zu, nach den vielen Tagen „voll schlapp zu sein“. Aber das zählt für sie nicht. „Ich habe viel dazu gelernt“, sagt die sympathische Judo-Amazone, die sich seit zehn Jahren mit Judo beschäftigt und fügt auch gleich hinzu, dass sie sich jetzt gut vorstellen kann, „einmal als Trainerin tätig zu sein“. Bei Silas, der seit sieben Jahren seine Mattenerlebnisse verarbeitet und auch inzwischen einen grünen Gürtel umbinden darf, verhält es sich ähnlich. Er schlägt aber für sich schon klarere Töne an. „Das, was ich vom Lehrgang an neuem Wissen mitgenommen habe“, so sein eindringlicher Tenor, „möchte ich auch weitergeben“. Doch für beide dauert es noch einige Jahre, bis der Berggipfel erreicht ist. Bis dahin werden Finja und Silas noch häufig im verschwitzten Judoanzug auf der entsprechenden Mattenseite für Schüler stehen oder auch liegen. Und das ist auch gut so, denn Judo lernen hört nie auf und ist mit jedem Tag eine Erweiterung.